Bozen, Südtirol/Italien (pts005/21.11.2014/09:00) – Anlässlich der weltweit wichtigsten Apfelmesse INTERPOMA (www.interpoma.it/de) , die vom 20. bis 22.11. 2014 in Bozen stattfindet, wird auf der INTERPOMA-Webseite eine FAO-Studie vorgestellt, die den Wirtschaftszweig der Apfelproduktion in Südtirol untersucht, die zugleich ein beispielhaftes, innovatives System in der Landwirtschaft darstellt. Im Folgenden sind hier wesentliche Auszüge der Studie nachzulesen.
Das Dokument, das von der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) herausgegeben wurde, untersucht den Wirtschaftszweig der Apfelproduktion in Südtirol als ein wirksames Beispiel eines innovativen Systems in der Landwirtschaft und befasst sich mit der Entwicklung und den Faktoren, die die Entstehung dieses Systems ermöglicht haben.
Der Apfelanbau in Südtirol geht bis ins 16. Jahrhundert zurück und wurde im Laufe der Jahrzehnte von geschichtlichen, kulturellen, sozialen, politischen, geografischen und wirtschaftlichen Faktoren gekennzeichnet. Diese haben dazu geführt, dass der Apfelanbau zum wichtigsten Beschäftigungszweig in der Südtiroler Landwirtschaft geworden ist, für den eine Gesamtfläche von 19.000 Hektar von über 8.000 landwirtschaftlichen Familienbetrieben genutzt wird. Derzeit produziert Südtirol 50 % aller auf dem italienischen Markt verkauften Äpfel, 15 % der Äpfel für den europäischen Markt und 2 % für den Weltmarkt.
LINSA: Starkes Netzwerk generiert Erfolg
Die Erfolgsgeschichte der Südtiroler Apfelwirtschaft fußt auf einem hoch entwickelten und anpassungsfähigen Netzwerk aus Produzenten, ihren Genossenschaften und Verbänden, Forschungseinrichtungen, landwirtschaftlichen Beratungsdiensten und anderen öffentlichen und privaten Akteuren, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg organisierten. Dieses sogenannte Lern- und Innovationsnetzwerk für nachhaltige Landwirtschaft (LINSA) ist ein Wissensnetzwerk, in dem neues Wissen ausgetauscht oder erarbeitet wird. Es ist durch eine enge Zusammenarbeit aller Mitglieder, sowie das fundierte Wissen dieser um die Probleme des eigenen Wirtschaftszweiges gekennzeichnet.
Die von Friedrich Wilhelm Raiffeisen definierten Grundprinzipien der Selbsthilfe, Selbstverwaltung, Selbstverantwortung und Mitgliederförderung sind der Anker des LINSA. Letztendlich machen die Südtiroler Apfelproduzenten es zu einem wahrhaft einmaligen System. Ihre Innovationsfähigkeit und ihr Einfallsreichtum sind die ausschlaggebenden Faktoren für den Erfolg.
Die Analyse nimmt in erster Linie die Entstehung und Entwicklung der verschiedenen Institutionen und die Schaffung der Verbindungen innerhalb des LINSA unter die Lupe. Seine Entwicklung wird in fünf Phasen analysiert.
1945–1960: Stärke in der Einheit und unabhängiger Beratungsdienst
Südtirol war nach dem Zweiten Weltkrieg eine verarmte Provinz. Die Apfelvermarktung wurde von privaten Händlern kontrolliert und war für die Produzenten intransparent und unbefriedigend. Die Produzenten entwickelten das Bewusstsein, dass sie zusammenarbeiten mussten und so entstand im Jahr 1945 der VOG (Verband der Südtiroler Obstgenossenschaften), in dem neun Genossenschaften von Obstproduzenten zusammengeschlossen waren, um die eigene Wettbewerbsfähigkeit zu steigern und sich auf dem Markt zu positionieren.
Gleichzeitig entstanden neue Genossenschaften mit der Absicht, die von ihren Mitgliedern produzierten Äpfel zu lagern und zu vermarkten. 1945 wurde auch der Bauernbund neu gegründet. Das LINSA war noch in seinen Anfängen und nutzte ein informelles System um Ideen und Wissen mit anderen zu teilen. 1957, als eine spezifische, unabhängige und aktuelle fachmännische Beratung für die Obstbauern immer notweniger wurde, entstand der Beratungsring für Obst- und Weinbau, der einer der Hauptakteure im LINSA wurde.
1961–1971 – Intensivierung, integrierte Produktion und Lagerung
In den 50er und 60er Jahren erlebte die Apfelwirtschaft in Südtirol aufgrund der Abwanderung von Arbeitskräften und der europäischen Krise des Obst- und Gemüsebereichs einen Anstieg der Arbeitskosten und einen Rückgang des Apfelpreises. Das LINSA reagierte auf verschiedene Weise. Auf institutioneller Ebene mit der Gründung der Fachschule für Obst-, Wein- und Gartenbau Laimburg. (1962) Die Fachschule Laimburg und der Beratungsring wurden die zwei Hauptakteure des AKIS (Landwirtschaftliches Wissens- und Informationssystem), das zur Unterstützung der landwirtschaftlichen Produktion eingerichtet wurde.
Auch auf produktionstechnischer Ebene wurde das LINSA aktiv. Das Produktionssystem wurde intensiviert. Erst wurde das Palmetten-, dann das „schlanke Spindelsystem“ eingeführt. Die Anbausysteme waren weniger arbeitsintensiv und brachten höhere Erträge. Die Intensivierung der Produktion gab den Impuls zu technischen Neuerungen im Bereich der langfristigen Lagerung der Äpfel. Der Lagerungsbedarf führte zu einer Sorteninnovation. Ab 1970 wurden die älteren Sorten mit modernen Sorten ersetzt, die geeigneter für die neuen Anbau- und Lagermethoden waren. In dieser Zeit erhielt das LINSA auch die ersten Förderungen von Seiten der Europäischen Union, um die Infrastruktur der Genossenschaften zu modernisieren und so den Anforderungen des Marktes zu entsprechen.
1972–1990 – Verbesserung der Qualität und erste Innovationsplattform
Die Entschlossenheit der Südtiroler Landesregierung, eine eigene Struktur einzurichten, die die landwirtschaftliche Produktion in der Provinz unterstützt, ließ verschiedene neue Institutionen entstehen. Im Jahr 1976 wurde das Land- und forstwirtschaftliche Versuchszentrum Laimburg gegründet, 1973 wurde das Konsortium für den Schutz landwirtschaftlicher Kulturen vor Witterungsunbilden eingerichtet. Außerdem festigte sich in diesen Jahren die Genossenschaftsstruktur auf der Ebene des VI.P (Verband der Vinschgauer Produzenten für Obst und Gemüse) und des VOG. Ende der Sechzigerjahre wurde das Konzept der integrierten Produktion eingeführt.
Im Jahr 1988 wurde der Integrierte Obstanbau mit der Gründung der AGRIOS, der Arbeitsgruppe für den integrierten Obstanbau in Südtirol, institutionalisiert. Die AGRIOS ist seither ein weiterer Akteur des LINSA. Auch andere institutionelle Neuerungen waren von Bedeutung: 1974 erster Bioapfelproduzent in der Provinz, 1977 Anerkennung der Marke Südtiroler Apfel als geschützte geografische Angabe, 1981 Gründung der KSB, der ersten Genossenschaft für Apfelbaumschulen unter der Sanitär- und Qualitätskontrolle der Laimburg.
1991–2001 – Sorteninnovation, Konsolidierung und internationale Netzwerke
In den Neunzigerjahren lösten institutionelle Neuerungen politischer Natur, besonders die Förderungen, die die Landesverwaltung nur an Genossenschaften einer bestimmten Größe vergab, einen Zusammenschluss der Genossenschaften aus. Dies ermöglichte die Modernisierung der Infrastruktur auf effiziente Weise und schuf eine ausgezeichnete Basis für ein nachhaltiges System. Die clevere Verteilung der Förderungen und die Tatsache, dass sie Genossenschaften und nicht einzelnen Personen zukamen, ist einer der Gründe für die hohe Effizienz des LINSA. In dieser Zeit öffnete das LINSA seine Türen auch für internationale Partnerschaften, indem es mit schweizerischen und österreichischen Forschungszentren zusammenarbeitete.
1998 fand die erste Ausgabe der Fachmesse Interpoma statt, die dem Anbau, der Lagerung und der Vermarktung des Apfels gewidmet ist und sich als gemeinsame Interessensplattform entwickelte, um Wissen auszutauschen, neue Märkte zu erschließen und auch um neue Zusammenschlüsse auf internationaler Ebene einzugehen. 1991 begannen die Forscher der Laimburg mit dem Test neuer Lagerungsmethoden der dynamisch kontrollierten Atmosphäre.
Trotz aller Fortschritte des LINSA übersah das Netzwerk in den Neunzigerjahren die Bedeutung der Clubsorten für die Zukunft. Dies waren neue Apfelsorten, die patentiert und mit Marke versehen sind und von einer Gruppe von Unternehmen angebaut und vermarktet werden, die alle dieselbe Produktionsweise und dasselbe Marketing verfolgen (der „Club“). Erst spät suchte man nach Gelegenheiten, den wichtigsten Clubs beizutreten. Als Folgereaktion schuf das LINSA 2002 eine neue Innovationsplattform, das Sortenerneuerungskonsortium Südtirol (SK Südtirol), das sich zum Ziel setzte, zusammen mit dem Versuchszentrum Laimburg, die Sortenerneuerung in Südtirol zu koordinieren.
2002 bis heute – Innovation, Professionalisierung und Markt
Im letzten Jahrzehnt gab es eine weitere Konsolidierung der genossenschaftlichen Vermarktungsstruktur als Reaktion auf die Marktkonzentration des Einzelhandels für Obst. Die Genossenschaften sind nun unter dem VOG und der Vi.P in Verkaufspools organisiert. Die Richtlinien für die integrierte Produktion wurden ausgebaut und es wurde ein neues Konsortium zur Qualitätskontrolle (Südtiroler Qualitätskontrolle, SQK) geschaffen.
Die Produktion von biologischem Obst nahm zu. Kürzlich schufen die VI.P und der VOG gemeinsam mit zwei Erzeugerorganisationen aus dem Trentino eine neue Vermarktungsorganisation (FROM), die das Ziel hat, neue Märkte zu erschließen und den Apfelexport in Nicht-EU-Länder zu erhöhen. 1997 führten europäische Einzelhändler ein Zertifizierungssystem ein. (Ursprünglich EurepG.A.P., heute GlobalG.A.P.) Bereits vier Jahre später waren daran 87 % der Produzenten beteiligt. Letztlich richtete der Bauernbund einen Innovationsschalter ein.
Die Entwicklung des LINSA wurde von formellen und informellen Mechanismen zur Netzwerkentwicklung mit einer ausgeprägten Komponente des sozialen Lernens beeinflusst. Die formellen Mechanismen sind auf verschiedenen Ebenen vorzufinden. Auf politischer Ebene hat die Landesverwaltung die Apfelproduzenten mit einer guten Straßeninfrastruktur und einem funktionstüchtigem AKIS unterstützt, für welches öffentliche Strukturen eingerichtet und finanziell gefördert wurden. Auf institutioneller Ebene wurden Verbindungen geschaffen. Die Genossenschaften werden vom AKIS unterstützt. Es wurden Innovationsplattformen wie AGRIOS und SK eingerichtet. Auf individueller Ebene tragen die in das LINSA eingebundenen Personen durch ihre Kompetenz und Motivation dazu bei, das gegenseitige Vertrauen und Verständnis innerhalb des Netzwerks zu erhöhen und damit weiter zu entwickeln.
Die Aspekte des sozialen Lernens dieses LINSA durchdringen das gesamte System. In Südtirol ist das Lernen an eine äußere und eine innere Dynamik gebunden, sowohl auf individueller Ebene, als auch auf kollektiver Ebene. Das in diesem geografischen Raum geschaffene Sozialkapital ermöglicht die Entwicklung des Systems, indem bestehendes Wissen von anderen übernommen wird und selbst neues Wissen geschaffen wird. Die Entwicklung des LINSA beschritt einen organisatorischen Lernweg, der typisch ist für lernende Organisationen.
Die Lernmechanismen des LINSA können in drei Phasen unterteilt werden: Lernen durch Erfahrung, durch Nachahmung und durch Akquisition. Zwischen 1945 und 1960 war die angewandte Methode die Erfahrung, wobei das neue Wissen empirisch erworben nachfolgend ausprobiert wurde. Ab 1960 wurde die Lernmethode der Nachahmung angewandt, die als Imitationsprozess beginnt und dann schrittweise zur Verbesserung und Konzeptualisierung des erworbenen Wissens führt. Neuerlich greift man auf die Methode der Akquisition zurück, bei der es im System notwendige Komponenten braucht, die im LINSA nicht vorhanden sind und daher erworben werden müssen. Diese drei Lernmechanismen gehen Hand in Hand mit der Forderung nach Innovation und Ideen, die die Ausgangsbasis bilden.
Das LINSA ist als Netzwerk entstanden, das auf menschlichen Beziehungen und Vertrauen fußt und das Ziel hat, die gemeinsamen Interessen seiner Mitglieder zu entwickeln. Es hat sich zu einem effizienten, gewinnbringenden und höchst produktiven System entwickelt und die Apfelproduktion in Südtirol zu einem wirksamen Beispiel eines lebendigen Innovationssystems in der Landwirtschaft gemacht. In einer Region, in der Boden, Wasser und Arbeitskräfte begrenzte Ressourcen waren, war der Weg zur Innovation unumgänglich sowie Wissen und Ideen als wichtigstes unbegrenztes Kapital zu erachten. Das LINSA nutzte dies zu seinem besten Vorteil und betrachtete Wissen nicht als Konkurrenzprodukt, sondern teilte es und schuf daraus einen (Mehr-)Wert.
Die Studie im Volltext auf deutscher Sprache finden Sie exklusiv auf der Seite der Fachmesse für Anbau, Lagerung und Vermarktung des Apfels „Interpoma“ unter: www.interpoma.it/de
Aussender: FIERA BOLZANO SPA – MESSE BOZEN AG
Ansprechpartner: Florian Schmittner
E-Mail: schmittner@messebozen.it
Tel.: +39 0471 516017
Website: www.messebozen.it
Quelle: www.pressetext.com/news/20141121005