Auch diejenigen, die Höhenangst haben, sollten sich keineswegs davon abhalten lassen, diesen Oscar-gekrönten Kletter-Dokumentarfilm von 2019 anzusehen.
Regie und Handlung
Der Film unter der Regie von Elizabeth Chai Vasarhelyi und Jimmy Chin Regie (in ihrem Film Meru behandeln sie ein sehr ähnliches Thema), wirft einen wirklich faszinierenden Blick auf den Freikletterer Alex Honnold. Mit seinen 31 Jahren ist der US-Amerikaner der erste und bis jetzt einzige Mensch, der jemals den El Capitan, eine gewaltige Felswand, die sich 3.000 Fuß aus dem Yosemite Valley erhebt, ohne Seile zur Absicherung erklommen hat.
Wenn sich dies wie eine verrückte Sache anhört, dann ist dies völlig rational: Nur ein einziger Fehltritt und Honnold stürzt in seinen sicheren Tod. Doch Honnolds Version von rational unterscheidet sich von der eines „Normalos“. Außerdem sind seine Bewegungen alles andere als willkürlich – sie sind strategisch und geplant, sodass Zuschauer fast das Gefühl haben, sie würden einem Schach- oder Pokerspiel zusehen.
Anhand von Interviews und intimen Einblicken in Honnolds Alltag versucht Free Solo die Psychologie eines Menschen zu erfassen, der sich des Risikos bewusst zu sein scheint, ihm aber weniger abgeneigt ist als die meisten Menschen. Honnold ist nicht lebensmüde und hegt auch keine ausgeprägte Todessehnsucht. Stattdessen treibt ihn seine Leidenschaft an, sodass er das Risiko einfach in Kauf nimmt. Die intensive Hingabe zum Klettern hat in seiner Realität wohl eine Art radikale „Neupriorisierung“ ausgelöst. Er spricht über die unmittelbare Bedrohung durch den Tod so, wie ein „normaler“ Mensch über einen gestoßenen Zeh sprechen würde. Es ist zwar blöd, wenn es passiert, aber was soll man machen?
Ist Alex Honnold bei klarem Verstand? Free Solo beschäftigt sich mit dieser Frage, sowohl mit einem Augenzwinkern als auch mit einem ernsthaften Blick. Auf der eher heiteren Seite sehen die Zuschauer, wie Honnold einen Gehirnscan bekommt und wie ihm ein Arzt, der sich ein wenig über seinen Patienten amüsiert, erklärt, dass dieser eine extrem hohe Reizschwelle hat. Das heißt im Klartext: Was gewöhnliche Menschen abschreckt und eine angeborene Abneigung auslöst, wird von Honnold kaum als Bedrohung registriert. Er ist wie ein Superheld, dessen Superkraft die Furchtlosigkeit ist. Und obwohl er im Film oft davon spricht, dass manche Dinge „beängstigend“ sind, verzieht er dabei kaum eine Mine, sodass man ihm als Zuschauer kaum glauben kann.
Klettern und Ängste
Aber Free Solo wirft nicht nur einen Blick auf die potentiellen Ängste des Freikletterers, sondern auf die ganz reellen Ängste seiner Partnerin. Diese drückt im Film mehrfach ihre Sorgen aus und möchte ihren Freund am liebsten von seinen waghalsigen Plänen abhalten. Da sie ihn jedoch bereits als leidenschaftlichen Freikletterer kennengelernt hat, ist ihr klar, dass Honnolds Liebe zum Klettern größer ist als die Sehnsucht nach einem beschaulichen und sicheren Familienleben mit ihr. Eine traurige Einsicht, die die beiden jedoch nicht auseinanderbringt. Mittlerweile sind die zwei sogar verheiratet, wobei Honnold das Freiklettern natürlich nicht aufgegeben hat.
Der Film beleuchtet übrigens auch Honnolds familiäres „Erbe“: Er wuchs mit einem distanzierten Vater auf, der möglicherweise auf dem Autismus-Spektrum war und einer Mutter, deren Absolutismus in Bezug auf Leistung sicherlich einige strenge Vorstellungen von Erfolg in den Kopf ihres Sohnes gepflanzt hat. Free Solo erforscht die familiären Zusammenhänge und Einflüsse jedoch nur oberflächlich. Trotzdem bekommen die Zuschauer einen eindrucksvollen Einblick in die Kräfte, die sowohl von der Natur als auch von der Erziehung herrühren könnten.
Obwohl es sich bei dem Film um eine Doku handelt, ist sie allemal so spannend wie ein waschechter Thriller. Das liegt unter anderem daran, dass man als Zuschauer genau weiß, was auf dem Spiel steht. Die Aufmachung des Films macht zwar von Anfang an klar, dass Honnold sein Abenteuer überlebt hat, wobei dieses Wissen die Zuschauer nicht davon abhält, jede kleinste Bewegung des Kletterers mitzuverfolgen und regelrecht mitzuzittern.
Tipp: Wer nach Free Solo auf den Geschmack gekommen ist und mehr Naturaufnahmen genießen will, sollte sich den Film „More Than Honey“ ansehen, in dem sich alles um die Honigbiene dreht.