Hamburg (pts011/31.10.2011/12:45) – Wenn er das lesen würde, was in der „Welt“ und in der „FAZ“ (26.10.2011, S. N3) aus seiner Wissenschaft gemacht wird. Der Historiker Fritz Fischer (1908-1999) befindet sich nämlich fest in der Hand seiner Gegner. Und die beschäftigten sich in London, als wenn das Thema Erster Weltkrieg gerade erst wissenschaftlich entdeckt worden wäre, ausschließlich mit Fachfragen wie der Problematik des Flottenbaus, der französischen Politik in der Julikrise 1914 (hoch lebe die „isolierte Krise“ wie 1930) oder dem „persönlichen Regiment“ Kaiser Wilhelms II. (um nur einiges zu erwähnen).
Fischer wurde lediglich als Anlass benutzt, um wieder einmal alles zurechtzurücken. Es ist mit Händen zu greifen, dass es auch und vor allem um die Interessen der Ausrichter und Finanziers ging, wie z.B. John Röhl (Brightoner Schule), der sich durch seine – auch über seine Schülerinnen – vertretene veraltete biographische Annäherung an 1914, eher den Blick auf Strukturen, Verhältnisse und übergreifende weltpolitische Bezüge verstellt.
Weiter sind Ausrichtung – und damit die Auswahl der Diskutanten – nicht voneinander zu trennen. Zählte doch Röhl mit der „Kriegsratthese“ (1969) einmal zu den Gedankengebern Fischers. Das änderte sich seit dessen Eulenburg-Editions-Deal mit Hans Herzfeld schon 1978 und damit begann seine breite Absetzbewegung in Richtung „Kotau“ vor der konservativen deutschen Zunft (vgl. Schulte, Rückbesinnen und Neubestimmen, 2000).
So wurde in London (interessanterweise am Deutschen Historischen Institut) wieder einmal eher um Fischer herum, als über und mit ihm diskutiert. Dies vor allem, da die Gegner Fischers, die Vertreter der „Düsseldorfer Schule“ Wolfgang Mommsens, mit am Tisch saßen (Krumeich, Afflerbach, Foerster). Diese wolle Fischer „weiterentwickeln“ (Foerster an Schulte, 2000) , so hieß das damals, zerstörte jedoch Fischers „Hamburger Schule“.
Der Versuchung, Legendenbildung über Erlebnisse von Zeitzeugen (Assistenten Fischers) zu betreiben, entging man in London nicht. Aber auch die verschiedenen – so wie oben gekennzeichnet – Freunde Röhls, zu denen ja auch der Freiburger Historiker Deist zählte (was vieles im Nachhinein erklärt) verhinderten, dass über Krisenkonferenzen und Funktionsweisen der Reichsressorts im Hinblick auf zielorientierte Entschlußfähigkeit diskutiert werden konnte. Stattdessen wurden mit einer übergroßen Zahl englischer, kanadischer und amerikanischer Forscher die, nicht immer mit Fischer zu verbindendenden, komparatistischen Ansätze (und damit Verschleierungen) überbetont.
Der Peinlichkeit, sich mit Fischers NS-Vergangenheit zu beschäftigen, entging der Kongress selbstverständlich auch nicht. Sein Tagebuch aus dem Jahre 1942 soll (so Röhl in der „Welt“) nun Aufschluß über Fischers Distanz zum Dritten Reich gegeben haben. Die Tatsache aber, dass diese Angriffe auf ihn erst ans Licht kamen, als der Vorwurf gegen die Gegner Fischers und deren NS-Verstrickungen veröffentlicht wurden, zeigt in die richtige Richtung. Dies, zumal Fischer lediglich mit ein paar hundert Reichsmark von Francks Institut gefördert wurde (seine Aussage im Vorfeld meines Filmberichts im Hessischen Rundfunk zum 80. Geburtstag, 1988), wohingegen Zechlin – wie Fischer mir sagte – in Berlin ein großes Kolonialinstitut bekam und tausende RM-Zuwendungen des damaligen Staates erhielt. Zechlin machte seine Hochzeitsreise „im Mittelmeerraum“ 1941, als Fischer an der Front war (vgl. Schulte: „Weltmacht durch die Hintertür“). Der Leutnant Fischer und die Anstellung am Franckschen Institut bilden eine weitere bereitwillige Verquickung Nachlebender, die so nicht hingenommen werden muss.
Es ließe sich als „Zeitzeuge“ (was konnte etwa Sösemann „bezeugen“, der gar nicht mit Fischer in Kontakt stand?) bedingt durch 10 Jahre engster Zusammenarbeit, vieles sagen. Eines hätte Fischer, nach diesem Kongress mit Sicherheit getan: Er hätte auf den Tisch geschlagen und gefragt „Warum sprecht Ihr nicht zur Sache?“ Denn ausschließlich darum ging es ihm.
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